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Jeder Mensch ist gelegentlich krank und braucht dann Medikamente und jeder Mensch braucht etwas zu essen. Beides sind so fundamentale Bedürfnisse, dass man eigentlich annehmen sollte, dass die Produktion und der Gebrauch von Medikamenten und die Nutzung landwirtschaftlicher Sorten für alle ohne Beschränkungen erlaubt sind. Dem ist aber nicht so: vielfach gibt es z. B. Patente auf Medikamente und Sortenschutzrechte auf landwirtschaftliche Nutzpflanzen. Solche geistigen Eigentumsrechte geben den InhaberInnen ausschließlich Nutzungsrechte.
Bei der Entwicklung neuer landwirtschaftlich nutzbarer Sorten oder neuer Medikamente werden allerdings häufig genetische Ressourcen und dazugehöriges Wissen benutzt, die aus indigenen oder traditionellen Gemeinschaften stammen. Werden geistige Eigentumsrechte wie vor allem Patente und Sortenschutzrechte auf solche Ressourcen beantragt und erteilt, sprechen wir von Biopiraterie. Biopiraterie geschieht zumeist durch Pharma-, Agrar- und Lebensmittelkonzerne der G8-Staaten und hier ansässiger privater oder öffentlicher Forschungseinrichtungen unter Beihilfe seitens der Patentämter und der Patentgesetzgeber. Unter den Begriff der geistigen Eigentumsrechte werden auch die Rechte von Züchtern an neuen landwirtschaftlichen Sorten oder von Pharmaforschern an neuen Medikamenten gefasst. Als rechtlicher Rahmen dafür wurde das sog. Sortenschutzrecht entwickelt bzw. das Patentrecht von technischen Erfindungen auf pharmazeutische Stoffe und Verfahren sowie in manchen Staaten z. B. isolierte Gene ausgeweitet. Die wesentlichen Wirtschafträume, für die derartige Eigentumsrechte erteilt werden, sind die G7(!)-Staaten, weitere EU-Länder und Australien.
Die mit IPR verbundenen Wertschöpfungsmöglichkeiten wecken seit langem die Begehrlichkeiten des Kapitals. Konkrete und erhoffte Profitmöglichkeiten im Bereich der mit IPR verbundenen menschlichen Tätigkeiten lenken das Interesse der Konzerne und der in ihrem Interesse agierenden Regierungen auf die Durchsetzung dieser Rechtspositionen – in jüngerer Zeit auch im Rahmen der G8. Schon bei den G8-Treffen in Gleneagles 2005[1] und in Petersburg 2006[2] forderten die Staats- und Regierungschefs der G8-Länder eine wirksamere Durchsetzung des Schutzes geistiger Eigentumsrechte und konkrete Schritte dorthin. Auf der Agenda der Bundesregierung für den G 8-Gipfel 2007 stehen erneut geistige Eigentumsrechte und ihre bessere Durchsetzung. Die Rahmenbedingungen für Biopiraterie betrifft dies allerdings nur am Rande, denn es soll vor allem um Urheberrechte und Produktkopien gehen.
Mit Biopiraterie haben die G8 bzw. G7-Staaten jedoch trotzdem jede Menge zu tun. Die Schaffung und Verschärfung von geistigen Eigentumsrechten ist ein langer historischer Prozess. Im Laufe der Geschichte ist Privateigentum als juristisch-gedankliches Konzept, bei dem natürlichen oder juristischen Personen Verfügungsrechte an Objekten zugewiesen werden, zuerst in Bezug auf materielle Objekte entstanden, zunächst wohl in Form eines Eigentumsanspruches auf Land. Die lateinische Wurzel des Wortes „privat“, nämlich privatio, zu deutsch „Raub“ trägt noch die Wurzel in sich: die Beraubung der Allgemeinheit, ihr Ausschluss von der Benutzung dessen, an dem Privateigentum besteht.
Die Denkmöglichkeit von Eigentumsrechten an technischen Neuerungen und Bauplänen – oder allgemein: Ideen – ist in der frühen Neuzeit aufgekommen, als Landes- und Stadtherren begabte HandwerkerInnen mit der Verleihung von Privilegien an sich binden wollten. Die Ausweitung auf Ton- und Wortfolgen durch das Urheberrecht wurde dann von Schriftstellern der Klassik propagiert und durchgesetzt. Die Einsicht, dass alle Kreativen nur Zwerge auf den Schultern von Riesen sind und ihr eigener Anteil an kreativen Leistungen ein relativer ist, war kaum noch rechtswirksam: Es setzten sich der Geniegedanke und als rechtliches Pendant das Urheberrecht bzw. das Copyright durch.
Die Zusammenfassung verschiedener Rechtskonzepte bezüglich Ideen und Gedanken geschah in den 1960er Jahren im Vorlauf zur Gründung der World Intellectual Property Organisation (WIPO), bei der und durch die der Begriff der „intellectual property rights“ (IPR), der „geistigen Eigentumsrechte“, geprägt und verbreitet wurde.
Schon lange vor den G8-Gipfeln der letzten Zeit wurden insbesondere die USA, die EU und Japan für die Verschärfung geistiger Eigentumsrechte aktiv. Diese Länder sind häufig die treibende Kraft hinter der Verabschiedung von schärferen Abkommen zu geistigen Eigentumsrechten auf internationaler Ebene. Relevant für Biopiraterie, d.h. von Leben und seinen Bestandteilen, sind dabei vor allem das Patent- und das Sortenschutzrecht.
Ein erster wichtiger Meilenstein für die globale Vereinheitlichung und Verschärfung des Patentrechts war das 1995 in Kraft getretene „Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte“ (TRIPS) der Welthandelsorganisation WTO. Es schreibt allen Mitgliedstaaten der WTO vor, ein Patentrecht einzuführen; nach Art. 27 TRIPS müssen Erfindungen in allen Gebieten der Technik patentierbar sein, vorausgesetzt, sie sind neu, beinhalten einen erfinderischen Schritt und sind gewerblich anwendbar. Ausnahmen sind in Art. 27.3 TRIPS unter anderem für bestimmte medizinische Verfahren sowie Pflanzen, Tiere und sowie klassische Züchtungsmethoden vorgesehen. Das TRIPS-Abkommen ging maßgeblich auf die Initiative vor allem der USA zurück. Treibende Kraft waren dabei zunächst vor allem US-amerikanische Unternehmen, unter Führung des Vorstandsvorsitzenden des Pharmakonzerns Pfizer, Edmund T. Pratt. Sie betrieben in den 70er und 80er Jahren massives Lobbying für die weltweite Verschärfung geistiger Eigentumsrechte; dabei brachten sie zunächst die US-Regierung, später auch europäische und japanische Unternehmen auf ihre Seite. Diese wiederum überzeugten ihre jeweiligen Regierungen davon, sich im Rahmen der WTO-Verhandlungen für ein Abkommen über geistige Eigentumsrechte einzusetzen.[3] Die Entwicklungsländer standen dem TRIPS-Abkommen zunächst ablehnend gegenüber, gaben aber schließlich im Gegenzug zu Zugeständnissen der Industrieländer z.B. im Agrarbereich und aus Furcht vor bilateralen Sanktionen vor allem durch die USA nach. Auch heute noch durchziehen die unterschiedlichen Interessen der Industrieländer unter Führung der G8-Staaten einerseits und vieler Entwicklungsländer andererseits die Verhandlung im Rahmen des TRIPS über die Auslegung und mögliche Umformulierungen des Abkommens. Die USA, die EU und Japan haben immer wieder versucht, Modifikationen des TRIPS-Abkommens im Hinblick auf einen strengeren Schutz geistiger Eigentumsrechte zu erreichen, z.B. indem mögliche Ausnahmen von der Patentierbarkeit begrenzt werden.[4]
Da sich mittlerweile ihre Interessen im Rahmen der WTO auf Grund einer kritischeren Öffentlichkeit und der Opposition von Seiten vieler Entwicklungsländer nicht mehr ohne weiteres durchsetzen lassen, haben sich die G8-Länder auch andere Verhandlungsforen gesucht. Ein solches Forum ist die WIPO. Diese 1970 gegründete UN-Sonderorganisation war bis in jüngere Zeit im Patentbereich vor allem mit eher technischen und administrativen Aufgaben befasst. So berät sie z.B. Mitgliedsländer zu Fragen des Patentrechts und bietet die Möglichkeit, Patentanträge einzureichen, die allerdings anhand der Maßstäbe der jeweiligen nationalen Patentrechte geprüft werden. Seit 2000 laufen in der WIPO nun Verhandlungen über einen so genannten „Substantive Patent Law Treaty“, der ähnlich wie das TRIPS Abkommen einheitliche Standards dafür enthalten soll, was die Unterzeichnerstaaten patentieren müssen.[5] Die Verhandlung eines derartigen Abkommens wurde unter anderem von den Regierungen der USA, Japans, Kanadas und verschiedener europäischer Länder befürwortet. Derzeit stocken die Verhandlungen allerdings, vor allem wegen der Opposition aus Entwicklungsländern wie z.B. Brasilien.
Im Saatgutbereich spielt (außer in den USA) weniger das Patentrecht als vielmehr das so genannte Sortenschutzrecht eine Rolle. Als Züchter einer neuen Sorte kann man diesen Sortenschutz auf Grundlage des Sortenschutzgesetzes bei einem staatlichen Sortenschutzamt beantragen[6], in Deutschland beim Bundessortenamt. Schutzfähig ist eine Sorte, wenn sie neu, homogen, beständig und unterscheidbar ist und ihr zudem eine eintragbare Sortenbezeichnung zugeordnet wird. Für die Schutzdauer darf nur der Inhaber des Sortenschutzes die geschützte Sorte in Form von Vermehrungsmaterial gewerblich vertreiben. Allerdings darf die geschützte Sorte ohne Zustimmung des Sortenschutzinhabers zur Züchtung einer neuen Sorte verwendet werden.
Bei der Durchsetzung von Eigentumsrechten an Pflanzensorten, sowohl zunächst innerhalb der G8 als auch in der ganzen Welt, spielt die UPOV, der „Internationale Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen“ eine wichtige Rolle. Die UPOV ist eine unabhängige zwischenstaatliche Organisation mit Sitz in Genf; nach dem Beitritt der Ukraine am 10.1.2007 gehören ihr 71 Staaten an.[7] Das erste UPOV-Übereinkommen wurde 1961 auf Betreiben der Pflanzenzüchterlobby von Großbritannien, den Niederlanden und der BRD ausgearbeitet und trat dort 1968 in Kraft. Von den G8-Staaten folgten Frankreich 1971, Italien 1977, die USA 1981, Japan 1982 und Kanada 1991. Die EG wurde 1995 Mitglied und schließlich Russland 1998. Die UPOV-Verträge wurden 1972 und 1978, besonders aber 1991 im Sinn der Saatgutindustrie verschärft: Schutzfristen neu angemeldeter Sorten wurden verlängert, eingeschränkt wurden die ohne Genehmigung der Züchter erlaubten Handlungen. Dabei ist es den Mitgliedsstaaten überlassen, ob und wann sie einem jeweils neueren Vertrag beitreten – wenn dies jedoch geschehen ist, gibt es keine Rückkehr-Möglichkeit zu einer früheren Version. Die UPOV befördert damit die Verschärfung von Eigentumsrechten, hat sich ein Staat erst einmal dieser Union angeschlossen. Auch Neumitglieder können nur der jeweils neuesten, restriktivsten Fassung beitreten und müssen ihr nationales Recht dementsprechend umgestalten.
Die wichtigsten Finanziers der UPOV sind derzeit mit jeweils 5 Beitragseinheiten die G8-Länder Deutschland, Frankreich, Japan, die USA und die EG, dahinter folgen die Niederlande mit 3, Italien, Großbritannien und Spanien mit je 2 Beitragseinheiten. Die restlichen Staaten tragen nur mit 1,5 bis 0,2 Beitragseinheiten zur Finanzierung der UPOV bei, davon Kanada mit 1,0 und Russland mit 0,5 von insgesamt 56,4 Beitragseinheiten. Die G8-Staaten und die EU finanzieren somit 54% des UPOV-Etats.
Die G8-Staaten setzen nicht nur auf multilaterale Verträge. Wo sie wegen bestehender Interessendifferenzen nicht weiterkommen, verfolgen vor allem die USA, jedoch auch Japan, Kanada und die EU ihre Interessen auf bilateralem Wege. Inzwischen enthalten die meisten der von einem dieser Länder(gruppen) mit anderen Staaten, vor allem Entwicklungsländern, abgeschlossenen Freihandels- oder Investitionsabkommen recht genaue Vorschriften über den Schutz geistigen Eigentums. Eine Studie der NGO „GRAIN“ kommt zu dem Ergebnis, dass die in solchen Verträgen enthaltenen Klauseln regelmäßig über das im TRIPS Abkommen vereinbarte noch hinausgehen, z. B. weil Ausnahmen von der Patentierbarkeit nicht vorgesehen sind.[8]
Manchmal bedarf es jedoch nicht einmal eines völkerrechtlichen Vertrags, um geistige Eigentumsrechte im Sinne der G8-Staaten andernorts durchzusetzen. Als im Jahr 2004 der US-Übergangsverwalter für den Irak, Paul Brenner, das Land verließ, hatte die Besatzungsverwaltung mehr als 100 Verordnungen erlassen, die in Kraft bleiben, bis die zuständigen Organe im Irak neue Gesetze erlassen haben. In der sog. Order 81[9] wird unter anderem bestimmt, wie das irakische Sortenschutzrecht bis auf weiteres ausgestaltet sein soll. Danach können Pflanzensorten mit Hilfe von Sortenschutzrechten unter bestimmten Voraussetzungen geschützt werden – Voraussetzungen, die allerdings von lokalen, traditionell gezüchteten irakischen Sorten in der Regel nicht erfüllen werden. Wenn eine Sorte geschützt ist, darf gekauftes Saatgut nur einmal ausgesät werden, die geernteten Pflanzen dürfen nicht erneut von BäuerInnen ausgesät werden, wie es traditionelle landwirtschaftliche Praxis ist. Diese Regelung dient ganz klar nicht den Interessen lokaler KleinbäuerInnen, sondern denen der großen internationalen Saatgutunternehmen.
Dass gerade ein Teil der G8-Staaten, vor allem die USA, die EU-Staaten und Japan, sich für die Verschärfung von Patent- und Sortenschutzrecht einsetzen, kommt dabei nicht von ungefähr. In diesen Staaten sitzen die Pharma-, Gentech- und Agrar-Unternehmen, die im globalen Maßstab den ganz überwiegenden Anteil an patenfähigen Produkten erzeugen. Im Jahr 2002 flossen mehr als 50% aller weltweiten Lizenzzahlungen – also Zahlungen für die Erlaubnis patent- oder urheberrechtlich geschützte Erfindungen zu verwerten – in die USA (vgl. Abbildung 1). Unter den umsatzstärksten Saatgutunternehmen waren beispielsweise 2003 die US-Unternehmen Dupont und Monsanto, gefolgt von Syngenta (Schweiz), der deutschen Kleinwanzlebener Saatgutanstalt AG und die französische Groupe Limagrain.[10]
Nicht nur in anderen Ländern, sondern auch intern setzen die Regierungen der G8-Staaten die Interessen der in ihnen ansässigen Konzerne durch. In Europa geschehen rechtliche Verschärfungen geistiger Eigentumsrechte vor allen durch EU-Regelwerke , die nicht nur von den vier europäischen G8-Staaten sondern auch von den anderen EU-Staaten umgesetzt bzw. angewendet werden müssen.
Seit Mitte der 80er Jahre verlangte die Biotech-Industrie europäische Regelungen zum Patentschutz ihrer Entwicklungen. Der erste Richtlinien-Vorschlag der EG-Kommission wurde 1995 vom EU-Parlament endgültig zurückgewiesen. Doch schon 1996 legte die Kommission einen neuen Vorschlag vor, auch um die entsprechenden Artikel des mittlerweile beschlossenen TRIPS-Vertrags in europäisches Recht umzusetzen. 1998 wurde die Richtlinie 98/44/EG verabschiedet. Diese umstrittene Richtlinie erlaubt fast ohne Einschränkungen Patente auf Leben. Teile des Menschen bis hin zu ganzen Organen und große Teile der belebten Natur können danach zum geistigen Eigentum von Patentinhabern erklärt werden. Sie ermöglicht Patente auf Leben konsequenter als das TRIPS-Abkommen es erfordert hätte. Bis zum Jahr 2000 hätte die Richtlinie in allen EU-Mitgliedsländern in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Bereits zum September 1999 übernahm das Europäische Patentamt (EPA) die Richtlinie in seine Ausführungsbestimmungen und erteilt seither auf dieser Grundlage Patente.
Nach einem „Bummelstreik“ vieler EU-Länder setzte sich die EU-Kommission seit 2002 für die nationale Umsetzung in den Mitgliedstaaten ein. Diese Gesetzgebung ist vor allem als Rechtsgrundlage für die Erteilung von Patenten durch nationale Patentämter wichtig, während das EPA sog. „europäische“ Patente für einzelne oder mehrere Länder auf Grundlage des „Europäischen Patentübereinkommens“ (EPÜ) erteilt.
Entgegen der verbreiteten Forderung, keine Patente auf Leben zuzulassen enthält etwa das deutsche Gesetz von 2004 keine wirksame Beschränkung solcher Patente. Selbst wenn menschliche Gene von der Patentierung ausgenommen sind, ist das nur die Spitze des Eisbergs. Patente auf Mikroorganismen, auf sortenübergreifende Merkmale von Pflanzen und Tieren werden darin ermöglicht und zur individuell ausnutzbaren Ressource erklärt.
Auch im Bereich des Sortenschutzrechtes war die EU fleißig um verbesserte Rechtspositionen für Züchter und Saatgutunternehmen bemüht. Das UPOV-Abkommen von 1991 ließ es erstmalig zu, das Recht von BäuerInnen auf die gebührenfreie Wiederaussaat des Erntegutes, den sogenannten Nachbau, abzuschaffen. Diese Klausel wurde in der EU 1994 genutzt, um eine Nachbaureglung zu beschließen, die vorsieht, dass BäuerInnen nicht nur beim erstmaligen Kauf von geschütztem Saatgut Lizenzgebühren an Züchter zahlen müssen, sondern auch dafür, Erntegut von solchen Sorten wieder aussäen zu dürfen.
In Deutschland wurde diese EU-Regelung 1997 national umgesetzt, noch bevor 1998 die UPOV-Akte von 1991 ratifiziert wurde. Durch ein Kooperationsabkommen zwischen dem Deutschen Bauernverband DBV und dem Bund deutscher Pflanzenzüchter wurden die Höhe der sog. Nachbaugebühren und eine Auskunftspflicht für Bauern und Saatgutaufbereiter festgelegt. Vor allem gegen diese pauschale Auskunftspflicht wehrten sich BäuerInnen auch vor Gericht und haben schließlich bis hin zum Europäischen Gerichtshof Recht bekommen. Auch die Untergrabung einer alten landwirtschaftlichen Praxis wie der Wiederaussaat von Erntegut ist eine Form von Biopiraterie – schließlich waren es BäuerInnen, die mittels dieser Praxis die heute vorhandene Sortenvielfalt hervorgebracht haben, die sich nun Saatgutzucht-Unternehmen aneignen.
Aktuell bemüht sich die EU um eine verbesserte Durchsetzung von IPR: Die EU-Kommission legte am 26.4.2006 einen Entwurf für eine Richtlinie vor[11], die eine strafrechtliche Verfolgung von Verstößen gegen IPR in der ganzen EU durchsetzen soll. Bislang ist die Durchsetzung von IPR in vielen Ländern eine zivilrechtliche Angelegenheit und bedarf des Antrags eines Geschädigten. „Das deutsche Recht kennt strafrechtliche Verfolgung zwar bereits etwa im Urheber-, Patent- und Markenrecht, doch wurde sie gerade in geringfügigen Fällen und im privaten Bereich bislang nur selten angewendet. Großbritannien etwa geht gerade bei Patentverletzungen insgesamt noch nicht von einer Straftat aus.“[12]
Angeblich – so die Kommission – beeinträchtigten die bislang unterschiedlichen Sanktionsregelungen nicht nur das „reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts“, sondern erschwerten auch die „wirksame Bekämpfung von Nachahmung“ und sogenannter Produktpiraterie. Mit der neuen Richtlinie soll die Richtlinie 2004/48/EG vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums verschärft werden. Die Verfolgung soll sämtliche Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums treffen, gemäß Erklärung 2005/295/EG der Kommission zu Artikel 2 der Richtlinie 2004/48/EG neben Patentrechten, Markenrechten u.a. auch diejenigen, die sich auf Rechte an landwirtschaftlichen Sorten beziehen.
Der Richtlinienentwurf beschränkt immerhin die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, jede Verletzung eines geistigen Eigentumsrechts strafrechtlich zu ahnden, auf vorsätzliche Verletzungen, sofern sie in gewerbsmäßigem Umfang begangen werden. Im Europäischen Parlament wird gegenwärtig (Januar 2007) versucht, diese Einschränkungen zu Fall zu bringen. Federführend dabei ist Janelly Fourtou, Gattin des Aufsichtsratsvorsitzenden des französischen Medienkonglomerats Vivendi, und ihre französische Kollegin Nicole Fontaine. Sie haben entsprechende Änderungsanträge in den Rechtsausschuss des EU-Parlaments eingebracht.[13]
Die vorgesehenen Strafen sind umfangreich: Neben Haftstrafen für natürliche Personen sind eine ganze Reihe von Sanktionen vorgesehen, die sowohl gegen natürliche als auch juristische Personen verhängt werden können: Geldstrafen sowie Einziehung von Gegenständen, die dem Verurteilten gehören, u. a. rechtsverletzende Waren. In Betracht kommen auch die Vernichtung der rechtsverletzenden Waren und die völlige oder teilweise Schließung des Betriebs, in dem die Rechtsverletzung überwiegend begangen wurde. Vorgesehen ist darüber hinaus auch eine Gewerbeuntersagung. Für einen Landwirt, dem ein Verstoß gegen das Sortenschutzrecht nachgewiesen werden kann, kann das bedeuten, dass die Ernte eingezogen und vernichtet wird oder dass gar sein Hof geschlossen wird und er Berufsverbot erhält. Absurd? Kaum, jedenfalls nicht absurder als der Fall Percy Schmeiser. Dieser kanadische Rapsbauer, dessen Felder von Monsantos gentechnisch veränderten (GM)-Raps kontaminiert wurden, wurde vom höchsten kanadischen Gericht verurteilt, weil er angeblich GM-Raps illegal angebaut habe.
Auch wenn es in Heiligendamm vor allem um Urheberrecht und Produktnachahmung gehen soll, werden Agrar- und Pharmakonzerne von IPR-Verschärfungen profitieren, die nicht extra für sie gemacht sind. Und bei Fragen nach Landwirtschaft und Medizin geht es um Leben und Tod. Die Biopiraterie fördernde Politik der G8-Staaten ist Grund genug, sich mit dem Thema IPR zu beschäftigen, sich im Juni in und um Heiligendamm an den Protesten zu beteiligen und wo es geht Widerstand gegen die Verschärfung von geistigen Eigentumsrechten zu leisten. Auch wenn dieses Argument immer wieder vorgeschoben wird: IPR-Verschärfungen dienen kaum je dazu, erfinderischen und kreativen Menschen ein Auskommen zu ermöglichen; vielmehr tragen sie dazu bei, die NutzerInnen traditioneller Praktiken zu kriminalisieren und sie zum Vorteil der transnationalen Konzerne zu enteignen.
BUKO Kampagne gegen Biopiraterie, Januar 2007
Am 5.6. erschien dieser Artikel gekürzt und mit einer Einleitung versehen unter dem Titel "Kuli der Saatgutmultis" mit der Autorenbezeichnung "Rainer Balcerowiak" in der Tageszeitung "junge Welt", hier der Link.
[1] www.g8.gov.uk/Files/KFile/PostG8_Gleneagles_CounterfeitingandPiracy.pdf.
[2] www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/GlobaleHerausforderungen/G8/G8-Downloads/06-Piraterie.pdf.
[3] Siehe dazu Peter Drahos, Who Owns the Knowledge Economy - Political Organising Behind the TRIPS Agreement, Corner House Briefing 32 (2004), online unter www.thecornerhouse.org.uk/pdf/briefing/32trips.pdf.
[4] Vgl. z. B. Graham Dutfield, Trade, Intellectual Property and Biogenetic Resources – A Guide to the International Regulatory Landscape, online unter http://www.ictsd.org/dlogue/2002-04-19/Dutfield.pdf. Die Verhandlungsprotokolle aus dem zuständigen TRIPS-Rat finden sich unter www.wto.org/english/tratop_e/trips_e/intel6_e.htm.
[5] Verhandlungsprotokolle des sog. Standing Committee on the Law of Patents, siehe www.wipo.int/meetings/en/topic.jsp.
[6] Eine Liste von Sortenschutzämtern findet sich unter www.upov.int/en/about/members/pvp_offices.htm
[7] www.upov.int/de/about/members/pdf/pub423.pdf
[8] Carlos Correa, Bilateral Investment Agreements – Agents of new global standards for the protection of intellectual property rights?, 2004, www.grain.org/briefings/.
[9] Online unter www.cpa-iraq.org/regulations/20040426_CPAORD_81_Patents_Law.pdf.
[10] Vgl. die Übersicht in BUKO Kampagne gegen Biopiraterie, Grüne Beute, Trotzdem-Verlag, 2006, S. 50.
[11] eur-lex.europa.eu/LexUriServ/site/de/com/2006/com2006_0168de01.pdf