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Ist Wissen ein freies Gut? Oder ist Wissen eine kommerziell handelbare Ware – knapp, kostbar und kopiergeschützt? Die zahlreichen Initiativen der EU, Rechte auf geistiges Eigentum durchzusetzen – und wenn möglich zu verschärfen – folgen klar der Warenlogik. Neben der WTO, den G8-Gipfeln und der Weltorganisation zum Schutz geistigen Eigentums (WIPO) bilden die Verhandlungen zu den <em>Economic Partnership Agreements</em> (EPAs) ein neues Forum, um einen weitreichenden Schutz geistiger Eigentumsrechte voranzutreiben.
„Geistige Eigentumsrechte“ beziehen sich auf den Schutz von Informationen, von Designs und von „wissenschaftlichem Wissen“, also dem Wissen um technische, medizinische und biotechnologische Erfindungen. In der EU oder den USA sorgen Patente, Marken- und Urheberrechte sowie Gebrauchsmuster dafür, dass Wissen und Informationen nur gegen Zahlung von Lizenzgebühren kommerziell genutzt werden können. In zahlreichen Staaten der Welt, so auch in einigen der AKP-Staaten, existiert jedoch kein Patentrecht, sodass hier die Nutzung von patentierten Produkten uneingeschränkt möglich ist – jedenfalls sofern die technische Infrastruktur zur Verfügung steht. Aus der Perspektive der EU sind die dort hergestellten Kopien „Produktpiraterie“, die es mit allen Mitteln zu verhindern gilt – sei es durch Rechtsmittel, durch wirtschaftliche Sanktionen oder durch schärfere polizeiliche Kontrollen. In der Rede von der „Produktpiraterie“ drückt sich jedoch eine sehr einseitige Sichtweise auf den Umgang mit Wissen und Technik aus. Tatsächlich sind Patente ein sehr restriktives Instrument, um andere von der Nutzung von Informationen auszuschließen und den eigenen Profit zu maximieren: So versperren Patente auf Medikamente Millionen von Menschen den Zugang zu lebenswichtigen Arzneien und behindern die Produktion von günstigen Generika. Auf Druck der WTO können schon seit 2005 indische Generika-Firmen ihre Praxis, neue Arzneimittel zu erschwinglichen Preisen anzubieten, nicht mehr fortsetzen. Patente auf Saatgut gefährden die Existenz von Kleinbauern und -bäuerinnen, weil Saatgut über die Lizenzgebühren zunehmend teurer werden wird. In Zukunft könnten gar – wie das in Deutschland bereits der Fall ist – Lizenzgebühren für den Nachbau aus der eigenen Ernte anfallen. Software-Patente und Urheberrechte schließlich verhindern die freie Nutzung von Informationstechnologien und tragen z.B. dazu bei, dass Schulbücher nicht vervielfältigt werden können.
In den EPA-Verhandlungen setzt die EU einerseits darauf, Mindeststandards für geistige Eigentumsrechte durchzusetzen, die im Rahmen der WTO schon bestehen. Diese sind im TRIPS-Abkommen (= Trade Related Aspects of Intellectual Property Rights) festgehalten. TRIPS sieht u.a. die Einführung eines nationalen Patentrechts vor, das auch die Patentierung von Leben – von pflanzlichen und tierischen Genen erlauben würde. TRIPS ist in vielen AKP-Staaten noch nicht umgesetzt. 27 AKP-Staaten gelten als Least Developed Countries, die erst bis 2013 die Standards der WTO erfüllen müssen. Weitere 21 AKP-Staaten sind gar nicht Mitglied der WTO und sind daher bisher von den Konflikten um geistige Eigentumsrechte nicht betroffen. All diese Staaten sehen sich nun erhöhtem politischem Druck ausgeliefert, ohne die Kapazität zu haben, sich in komplexe juristische Verhandlungen einzubringen.
Die Pläne der EU gehen jedoch noch weit über die WTO-Standards hinaus: So sehen Empfehlungen der EU-Kommission vor, flexible Regelungen der WTO, die beispielsweise das Kopieren von Lehrmaterialen gestattet haben, ersatzlos zu streichen. Da etwa in Mali ein Schulbuch 5% des durchschnittlichen Jahreseinkommens kosten kann, wird Bildung damit zu einem Privileg für reiche Eliten.
Existenz bedrohend wirkt sich die Verschärfung geistiger Eigentumsrechte in der Landwirtschaft aus. Die EPAs sehen vor, das jahrhundertealte „Landwirteprivileg“ einzuschränken. Kommt es zu einer solchen Einschränkung, wäre es den Bauern verboten, aus der eigenen Ernte aufbereitetes Saatgut an Nachbarn weiterzuverkaufen, es mit nur geringfügigen Veränderungen weiterzuzüchten, zu tauschen oder für den Eigengebrauch wieder auszusäen – sofern sie das Ursprungsmaterial von Saatgutunternehmen erworben haben. Bei einem Einkommen von nur einem oder zwei US-Dollar am Tag kann sich zudem kein Bauer die zunehmenden Lizenzgebühren leisten. Die Folge: EPAs setzen die Existenz von vielen Millionen Bauern aufs Spiel. Die Kommerzialisierung von Saatgut ist aber auch eine Gefahr für diebiologischeVielfalt: Wenn nur noch wenige kommerzielle Sorten angebaut werden, verschwinden jahrtausendealte, regional angepasste Sorten. Landwirtschaft wird dadurch krisenanfälliger, während die Natur verarmt. Zu befürchten ist zudem, dass der Schutz biologischer Vielfalt durch die EPAs aufgeweicht wird, und Biopiraterie, d.h. die Aneignung pflanzengenetischer Ressourcen dadurch vereinfacht wird. Ein aktueller Fall von Biopiraterie im südlichen Afrika ist der Hoodia-Kaktus. Traditionell wurde er von den Khoi-San verwendet um auf langen Jagdausflügen Hunger zu unterdrücken. Die Firma Pfizer / Phytopharm erwarb eine Lizenz auf den Wirkstoffextrakt und begann 2001 Hoodia als Appetitzügler zu vermarkten. Konfrontiert mit dem Vorwurf Biopiraterie zu betreiben behauptete sie, dass die Khoi-San längst ausgestorben seien. Glücklicherweise gelang es den Khoi-San, eine Beteiligung an den Gewinnen von Pfizer einzuklagen. Leider ist dieser Weg sehr aufwändig, weil finanzielle Ressourcen, Öffentlichkeitsarbeit und juristische Kompetenz erforderlich sind um ein Patent erfolgreich zu kippen. Auf Grund dessen werden viele Biopirateriefälle nicht angefochten.
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft geistige Eigentumsrechte im Bereich der Informationstechnologien. Eine Weiterverbreitung und -entwicklung von Software mit Hilfe des Quellcodes, also des Codes auf dem ein Computerprogramm basiert, wird mit den EPAs erheblich erschwert. Originalsoftware ist jedoch unerschwinglich. Auch der Zugang zu öffentlichen Datenbanken, die existierende Informationen lediglich sammeln, könnte mit Hilfe der EPAs durch Unternehmen in Zukunft verhindert werden. Ein Beispiel ist das ghanaische Environmental Information Network, das Ministeriumsmitarbeitern, Umweltorganisationen oder Wissenschaftlern geografische, technologische und andere wissenschaftliche Informationen zur Verfügung stellt. Hier zeigt sich, dass das von der EU häufig vorgeschobene Argument, geistige Eigentumsrechte dienten als Schlüssel für Technologietransfer, nicht tragfähig ist. Tatsächlich werden Forschung und Entwicklung dadurch kommerzialisiert, der Zugang zu Wissen und seine Weiterentwicklung wesentlich erschwert und das Abhängigkeitsverhältnis von Industriekonzernen verschärft.
Zum Weiterlesen:
Out of Africa: Mysteries of Access and Benefit Sharing, Jay McGown, Edmonds Institute in cooperation with African Centre for Biosafety, 2006
The Problem of intellectual property in Economic Partnership Agreements with the African, Caribbean and Pacific countries. CIEL, Mai 2007 f
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